Maren Welsch: Architektur und Landschaft als reale Fiktion (2011)
Kennen Sie Glavotok, waren Sie in Orebic oder sind Sie jemals die Vatnsmyrarvegur in Reykjavik entlang geschlendert? Falls ja, so werden Sie vermutlich – nachdem Sie die gleichnamigen Bilder von Katrin Pieczonka betrachtet haben und die Bildunterschrift lesen – Vertrautes suchen, etwas, das Ihrer Vorstellung dieser Gegend entspricht. Falls nein, überraschen Sie die Bildtitel, lauschen Sie ihrem Klang? Das wäre wohl durchaus im Sinne der Künstlerin, die auf großformatigen Leinwänden ein spannungsvolles Beziehungsgeflecht aus abstrakten und gegenständlichen Elementen entwickelt. Obwohl sie sich in ihren Acrylbildern jeweils auf eine ganz konkrete Stadt oder einen Landstrich bezieht, geht es Katrin Pieczonka nicht um die Wiedergabe von Bekanntem, Erwartbarem oder gar darum, ein Stereotyp zu bedienen. Sie hat diese Orte bereist und ihre Beobachtungen mit der Kamera festgehalten. Bereits als Kind hat sie fotografiert, und auch auf diese Fotos greift die Malerin manchmal zurück, oder sie verwendet, wie für ihre Diplomarbeit, Fotos von Ferienhäusern, in denen sie mit ihren Eltern wohnte. Dies ist allerdings nur ein Aspekt ihrer Arbeiten. Denn die subjektive Wahrnehmung und das individuelle Interesse an den vorgefundenen Umständen und Örtlichkeiten formen eine persönliche Bildstruktur, die durch die neutrale Darstellungsweise und die sperrige Malerei gleichzeitig wieder zurück genommen wird. Emotionslos sind die Bilder jedoch nicht.
Katrin Pieczonka malt kraftvolle Landschaften und architektonische Gegebenheiten, in denen sich die Realität klar benennbarer Orte in fiktiven Raum verwandelt. Gebäude verändern ihre Kontur und Bauart, werden auf wenige Elemente beziehungsweise auf ihre Grundformen reduziert. In Speicher, 2011, erinnert ein auffälliges, rundes Gebäude, das von verschiedenen Strukturen in unterschiedlichen Blautönen umgeben ist, an das markante Wahrzeichen von Eckernförde, den ehemaligen Getreidespeicher am Hafen, auch wenn der historische Backsteinbau als schlichtes weißes Silo dargestellt wird. Menschen oder Tiere kommen in diesen Bildwelten nicht vor, lediglich ein kahler Baum wie in Termoli I, 2007, zusammengefaltete Sonnenschirme wie in AG, 2009, Straßenlaternen oder das Skelett eines Betonbaus erinnern an die Existenz von Lebewesen.
Ein weiterer Aspekt ist, dass die entscheidende Rolle bei der Bildgestaltung der Farbe zukommt. Zunächst nur grobe Skizze, schildert sie dann, sich immer mehr verfeinernd und differenzierend, filigrane architektonische Elemente. Die Künstlerin baut mit ihr Harmonien oder Dissonanzen auf und setzt sie als erzählerischen Baustein und Stimmungsträger ein. In zahlreichen Schichten übereinander gelegt, macht sie den Malprozess für den Betrachter sichtbar. Die verschachtelten, spannungsgeladenen Bildräume wie auch die intensive Farbigkeit, die sowohl Neonfarben als auch fahle, gebrochene Farbtöne umfasst, stehen in scharfem Kontrast zu einer Malweise, die mit rauen Übergängen oder deutlichen Tropfspuren immer wieder auf sich selbst verweist und jeglichen Illusionismus verweigert: Das sorgsam konturierte Gebäude wie auch die perspektivisch fluchtenden Streifen in Croce, 2009, hat Katrin Pieczonka über einen locker gemalten, grauen Kubus gesetzt und mit schlangenförmigen Farbgebilden umfangen; in Vico Cisterna, 2011, oder Reiherstieg, 2011, holt eine leuchtendrote Fläche die Darstellung ins Zweidimensionale zurück. Eine Sonderstellung nimmt St. Darum, 2011, ein. In kühlen Blau-, Grün- und Grautönen gehalten, erzeugt hier ein geometrisches Liniengeflecht trotz aller Abstraktion eine räumliche Wirkung.
Und schließlich ein letzter Aspekt: Der in diesen Bildern aufscheinende Verweis auf konkret Vorhandenes wie auch die realistische Malweise oder die Darstellung von Licht und Schatten, sie zeigen einen Blick auf die Realität, der durch die Fotografie gelenkt wird. Katrin Pieczonka, die bei Elisabeth Wagner, Peter Nagel und Birgit Jensen an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel studiert hat, macht deutlich, dass die Malerei über beträchtliche Möglichkeiten verfügt, dem Gesehenen ungewohnte Zusammenhänge zu erschließen und es auf diese Weise neu zu entdecken – als reale Fiktion.